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Vereinigt Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen weltweit



Die G20 und danach - Fragen für die Gewerkschaften

An die IUL Web-Site geschickt am 16-Dec-2008

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Die einzige Überraschung, die der jüngste - im Vorfeld als Startrampe für "eine neue globale Finanzarchitektur", "Bretton Woods II" usw. etikettierte - Washingtoner G20-Gipfel zu bieten hatte, war die offenbare Überraschung über seine mageren Ergebnisse. Das internationale Vorgehen zur Bekämpfung der globalen Wirtschaftsflaute blieb auf eine vage Verpflichtung zu einer "koordinierten grundsatzpolitischen Reaktion" beschränkt. Es gab einige Verweise auf eine Ankurbelung der Nachfrage und die rituellen Forderungen nach "größerer Transparenz" und "wirksamer Regulierung der Finanzmärkte". Private Equity und Hedgefonds wurden ermahnt, sich selbst nach den "besten Praktiken" zu regulieren. Der Klimawandel und der durch die Volatilität der Lebensmittelpreise bedingte zunehmende Hunger - zwei wesentliche Elemente der sich immer weiter ausbreitenden Krise - wurden nirgends erwähnt. Und die Regierungen kamen überein, erneut zusammenzutreffen, irgendwann im ... Frühjahr 2009.

Ungeachtet der vernichtend destruktiven Rolle des IWF in früheren Krisen, waren sich die beim Gipfel vertretenen Regierungen dennoch darüber einig, dass die Finanzmittelausstattung, der Auftrag und der Wirkungsbereich dieser Organisation rasch erweitert werden müssten. Einig waren sich die Regierungen auch in ihrer Forderung nach einem raschen Abschluss der Doha-Runde der WTO, mit der auch das hohe Ziel verfolgt wird, das Wachstum und die Regulierungsunabhängigkeit des Finanzsektors zu sichern, gegen dessen Krise die Tagung eigentlich angehen sollte.

Seither hat auch die Stärkung nationaler Bankensysteme durch Billionen von Dollar öffentlicher Gelder nicht verhindern können, dass das Gemetzel auf den Finanzmärkten weitergeht und nunmehr auch den Fertigungs- und Dienstleistungssektor bedroht. Während überall in der Welt Stunde um Stunde Arbeitsplätze vernichtet werden, werden gleichzeitig neue Finanzwetten auf Konzernverschuldungen und Aktienkurse abgeschlossen, weil Investoren auch noch von dem angerichteten Schaden profitieren möchten.

Die vagen Formulierungen im Kommuniqué des Gipfels und sein sorgloser Zeitplan stehen in eindrucksvollem Gegensatz zu den konzentrierten Forderungen des Finanzsektors. Das Internationale Finanzinstitut, das als globales Lobbyorgan des Finanzsektors fungiert, hat seine Forderungen in einem Schreiben an den amerikanischen Präsidenten Bush definiert, das am Vorabend des Gipfels vom IFI-Vorsitzenden (und Chef der Deutschen Bank) Joseph Ackermann und vier weiteren hochrangigen Bankern des IFI verfasst wurde. Das IFI stellt zwei Hauptforderungen. Erstens die Errichtung eines Globalen Koordinierungsrates für die Regulierung des Finanzwesens, der das internationale Finanzsystem lenken soll und in dem die Vollzugsrolle des IWF gestärkt würde. Dieser Rat würde als Dachorgan für Privatbanken und multilaterale Kreditinstitute fungieren und mit "Aufsichtskollegien" gekoppelt sein, die "die führenden 30 bis 40 globalen Finanzdienstleister überwachen (so die Formulierung in dem Schreiben) sollen". Für das IFI sind die Ausweitung der G8 auf G20 sowie erweiterte Vertretungsrechte "einiger systemisch wichtiger Entwicklungsländer" innerhalb des IWF und anderer multilateraler Organisationen die Grundlagen für die Expansion und die weitere Integration des globalen Finanzdienstleistungssektors.

Während die G20 zu zaudern schienen, haben Ackermann und Kollegen einen klaren Zeitplan entwickelt. So heißt es in ihrem Schreiben: "Indem die normale Funktionsweise der Finanzinstitute und -märkte wiederhergestellt wird, müssen gleichzeitig eindeutig definierte Ausstiegsstrategien entwickelt und umgesetzt werden. Notstandsmaßnahmen sollten keine Grundlage für eine dauerhaft größere Rolle der öffentlichen Hand im internationalen Finanzsystem bilden. Damit würden die Aussichten für ein erneutes nachhaltiges Wachstum der Wirtschaftsleistung und der Beschäftigung gemindert, indem ein hohes Maß an Ineffizienz in die globalen Märkte eingespeist würde". Die Botschaft ist eindeutig: In Zeiten der Krise sollten Regierungen dem Finanzsektor aus der Klemme helfen, um sich sodann rasch wieder ihrer traditionell beschränkteren Rolle zu widmen, die Expansion des privaten Finanzwesens durch Garantien für die Staatsschulden zu fördern.

Entspricht die betrübliche Leistung der G20 nur einem Mangel an Willen und Vorstellungsvermögen auf Seiten der Regierungen? Oder ist es einfach illusorisch zu glauben, dass spontan Alternativen zur neoliberalen Orthodoxie der G8 entwickelt werden könnten, wenn man die Gruppe der 8 auf 20, 30 oder mehr Zentralbanken und ihre nationalen Interessensvertreter erweitert, deren einziges gemeinsames Interesse darin besteht, den Wert ihrer Dollarreserven zu schützen?

Die Teilnehmer an globalen Gipfeltagungen um (ausgewählte) Entwicklungsländer zu erweitern, entspricht zwar den Forderungen nach einer erhöhten Repräsentativität, lässt jedoch die sozialen Beziehungen und Machtverhältnisse unberührt, die dem System und seiner aktuellen Krise zugrunde liegen. Eine neue Finanzarchitektur lässt sich nicht dadurch errichten, dass einfach mehr Räume angebaut werden. Es bedarf eines neuen Fundaments, und das erhalten wir nicht durch "Lobbyarbeit" beim IWF oder bei Regierungsversammlungen. Forderungen nach mehr Nachfrageförderung, mehr Fairness und mehr Achtung für Arbeitnehmerrechte dürfen heute kaum stärker beachtet werden als früher. Alle Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte - in denen die historischen Gewinne der Gewerkschaftsbewegung an praktisch allen Fronten zurückgestutzt wurden - beweisen das Gegenteil.

Auf nationaler und auf globaler Ebene sieht sich die Gewerkschaftsbewegung einer Krise von gewaltigen Ausmaßen gegenüber. Institutionen wie dem IWF, den traditionellen Instrumenten für die Lösung weniger bedrohlicher Krisen, fehlt es jetzt an den notwendigen Mitteln. Und die Regierungen verspüren zur Zeit noch nicht den massiven sozialen und politischen Druck, der sie veranlassen könnte, mit Methoden gegen die Krise vorzugehen, die eine Umkehr der jahrzehntelangen sozialen und ökologischen Demontage bewirken und die Mobilisierungsfähigkeiten der Gewerkschaften stärken können.

In dieser Situation sollten sämtliche Fragen als offen betrachtet werden - und als Möglichkeit für die Gewerkschaften, durch neue Bündnisse auf ganz neue Art zu intervenieren. Wenn auch die G20 gelähmt sind, haben Ackermann, die Banken und das IFI doch ein Programm und die Mittel, dieses Programm umzusetzen. Wie reagieren die Gewerkschaften? Wir können damit beginnen, über Alternativen nachzudenken, indem wir einige der Fragen stellen, die nicht auf dem Programm der G20 standen. Eine Teilliste würde die folgenden Themen umfassen:

Regulierung der Finanzmärkte - was regulieren und für wen?

Durch staatliche Maßnahmen nach und nach von Gesetzen und Vorschriften befreit, die seine Tätigkeit einschränkten, hat der Finanzsektor eine nie gekannte Stellung innerhalb der globalen Wirtschaft erlangt. Hierfür nur ein Beispiel: Der Wert der umlaufenden Kreditderivate ist zur Zeit achtmal höher als das weltweite Bruttoinlandsprodukt. Von Konkursen bis zu Ernteausfällen wird alles zum Gegenstand riesiger Wetten. Dies als Kasinokapitalismus zu bezeichnen, ist eine Beleidigung für die Kasinos.

Eine Reregulierung ist zweifellos nötig, doch zu welchem Zweck? Soll damit dem Kasino geholfen werden, auf weniger schwankungsanfällige, geordnetere Weise zu operieren, oder soll der gesamte Sektor beträchtlich zurückgestutzt werden, um die Ressourcen realen Investitionen in Menschen und Arbeitsplätzen zuzuleiten? Das IFI wünscht ganz offensichtlich mehr Regulierung, weil seine Mitgliedsbanken kein Vertrauen mehr in Papiere haben, die sie und ihre Konkurrenten in ihren Büchern führen. Sie wollen investieren, aber sie wollen nicht unbedingt in Arbeitsplätze, Gemeinwesen und Menschen investieren, es sei denn, dies geschähe zu ihren Bedingungen. Wir sollten deshalb zwischen ihrer und unserer Regulierung differenzieren.

Finanzwelt gegen Realwirtschaft?

Wie man uns erklärt, hat sich die Finanzkrise von ihrem ursprünglichen Epizentrum entfernt und greift jetzt auf die reale Wirtschaft der Waren und Dienstleistungen über. Dies ist nur bedingt richtig, weil dabei übersehen wird, dass die Trennungslinie zwischen diesen beiden Bereichen allmählich verschwimmt, was ganz entscheidend zu der aktuellen Phase der Krise beigetragen hat. Güterproduktion, Dienstleistungen und sogar Landwirtschaft sind finanzialisiert worden, weil die Konzerne immer mehr Ressourcen für rein finanzielle Aktivitäten auf Kosten ihrer Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten einsetzen. Für führende TNKs wie General Electric und General Motors waren Finanzgeschäfte jahrelang gewinnbringender als die Fertigung. Der deutsche Autobauer Porsche hat in den letzten 12 Monaten mit Aktienoptionen siebenmal mehr verdient als mit der Fertigung von Autos, was die Financial Times zu der Frage veranlasste: Ist Porsche ein Hedgefonds oder ein Autobauer? (in Wirklichkeit beides). Die Verschmelzung der Finanzwelt mit der Realwirtschaft erreicht mit den großen Private Equity Fonds - Beteiligungsgesellschaften mit Portfoliounternehmen, die Millionen von Arbeitnehmern beschäftigen - völlig neue Dimensionen. Auch die Landwirtschaft wurde zunehmend finanzialisiert, indem gewaltige Ströme von Spekulationskapital in früher beschränkte Rohstoffmärkte fließen und in fernen Finanzzentren getätigte Termingeschäfte unmittelbare Folgen für die landwirtschaftlichen Erzeuger haben.

Gleichzeitig haben Fertigungs- und Dienstleistungskonzerne im Interesse des "Shareholder Value" ständig Barmittel aus ihren Betriebsbereichen abgezogen, um ihre Manager und Aktionäre mit astronomischen Aktienrückkäufen, Dividenden und Aktienoptionen zu belohnen. Die realen Investitionen in Anlagen und Ausrüstung werden auf ein Mindestmaß reduziert oder nur auf Kosten massiver Arbeitnehmerzugeständnisse und Auslagerungen durchgeführt. Die Konzerne haben sich so verschlankt, dass selbst ein leichter Rückgang der Verbraucherausgaben den sofortigen Tod bedeuten kann, vor allem für jene, die jetzt unter den Folgen ihrer Finanzgeschäfte leiden.

Lähmung der Regierungen und Kreditklemme

Obwohl einigen der führenden Finanzinstitute der Welt Billionen Dollar zugeführt wurden, weigern sich die Banken Geld auszuleihen und horten vielmehr ihre Barmittel. Regierungen, die heute die maßgebenden oder sogar die einzigen Eigentümer bedeutender Banken und Finanzkonzerne sind, haben sie bisher vergebens aufgefordert, den Kredithahn, von dem die Wirtschaft abhängt, wieder aufzudrehen.

Die Regierungen scheinen angesichts des Kreditstreiks wie gelähmt, weil diese massiven Kapitalzufuhren genau so gestaltet wurden, dass nur eine minimale Kontrolle erfolgte und ein schnellstmöglicher Ausstieg möglich war (das IFI-Programm). Aber diese Situation ist keineswegs unabänderlich. Als Eigentümer können die Regierungen nämlich in Wirklichkeit die Banken anweisen, Kredite zu vergeben, und festlegen, wie und wo das Geld investiert werden sollte. Sie können auch ihre jeweilige Regulierungsbehörde einsetzen, um Banken, die (noch) keine hohen Beträge an öffentlichen Geldern erhalten haben, zur Vergabe von Krediten zu veranlassen. Sie sollten durch massiven politischen Druck gezwungen werden, ihre Machtposition zu nutzen, um sowohl kurzfristige Kredite als auch das notwendige Investitionskapital zu mobilisieren - und zu gewährleisten, dass Geld nicht für Übernahmen und Dividenden gehortet oder in der Erwartung zurückgehalten wird, dass wieder die Zeit kommen wird, in der damit Renditen von 25% erzielt wurden.

Am Arbeitsplatz, auf der Straße, in jeder öffentlichen Arena und durch die Bildung neuer Arenen sollten wir die Forderung erheben, dass uns Regierungen und Konzerne erklären, warum die Arbeitslosigkeit zunimmt, während gleichzeitig beispiellose Summen öffentlicher Gelder in das Bankensystem fließen. Nach den größten Verstaatlichungen in der Geschichte sollten die Gewerkschaften darauf bestehen, dass die Banken als öffentliches Gut reguliert und als öffentliche Versorgungsbetriebe gestaltet werden und demokratische grundsatzpolitische Ziele verfolgen müssen. Geld muss dazu dienen, reale Investitionen zu finanzieren, nicht aber dazu, Finanzgeschäfte zu finanzieren.