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Im chinesischen Milchskandal ist Nestlé Öffentlichkeitsarbeit wichtiger als Vorsorge

An die IUL Web-Site geschickt am 25-Sep-2008

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Die Olympischen Spiele sind vorbei, und die giftige Chemikalie Melamin, die bei der Herstellung von Kunststoffen, Düngemitteln, Brandhemmern, Tinten und anderen Erzeugnissen Verwendung findet, macht wieder Schlagzeilen. Melamin, das nach oraler Aufnahme Nierenversagen verursachen kann, ist zu einem beliebten Zusatzstoff chinesischer Lebensmittelhersteller geworden, um bei verfälschten Produkten einen erhöhten Proteingehalt vorzutäuschen. Im Frühjahr 2007 tauchte es in nordamerikanischen Haustierfutterprodukten auf, auch in solchen der Nestlé- Marke Purina. Regelmäßig wird es in Tierfutter und sogar in Zahnpasta festgestellt. Jetzt ist es der Schuldige in dem sich immer mehr ausweitenden Skandal der Verunreinigung in China hergestellter Frisch- und Trockenmilchprodukte, dessen Ergebnis bisher 4 tote, mehr als 53 000 erkrankte und rund 13 000 in Krankenhäuser eingelieferte Babys sind.

Während andere Hersteller von Milchprodukten Rückrufe vornahmen und die Produktion unterbrachen, versicherte Nestlé, den Aspekt Sicherheit seiner Öffentlichkeitsarbeit unterordnend, dass "keines seiner Erzeugnisse in China aus melaminverseuchter Milch hergestellt wird". Kurz darauf stellte die Hongkonger Regierung Melaminspuren in einem Nestlé-Milchprodukt fest, das auf dem chinesischen Festland hergestellt worden war. Nach Angaben der Regierungsbehörden waren diese Spuren gering, doch wurde empfohlen, das betroffene Erzeugnis nicht Kindern zu verabreichen. Nachdem führende Supermarktketten es aus ihren Regalen genommen hatten, erfolgte schließlich auf Anforderung der Regierung ein genereller Rückruf. Nestlé reagierte mit einer Presseerklärung, wonach alle seine in China hergestellten Milcherzeugnisse "absolut sicher" seien.

Skandale wegen massiver und häufig tödlicher Lebensmittelverunreinigungen sind in China so alltäglich geworden, dass kein Unternehmen, sei es direkt oder über ein Gemeinschaftsunternehmen tätig, von sich behaupten kann, sicher zu produzieren, wenn nicht alle Produktions- und Vertriebsstufen in Bezug auf jede nur mögliche Quelle der Verunreinigung und Verfälschung überwacht werden. Die an Komplizenschaft grenzende Laxheit der Behörden wurde in der amtlichen Zeitung China Daily aufgezeigt, in der es hieß, dass die größten Hersteller von Milcherzeugnissen mit der Begründung von Sicherheitsinspektionen ausgenommen würden, man müsse "international konkurrenzfähige Erzeuger hochwertiger Produkte" unterstützen, indem man ihnen ... regelmäßige Kontrollen erspare. Das explosionsartige Wachstum des chinesischen Marktes für Milcherzeugnisse, dessen Jahresumsatz sich im Lauf der letzten fünf Jahre auf 18 Milliarden US-Dollar verdoppelte, war eine wesentliche Ursache für diese Ausnahmeregelung. Mehrere chinesische Kommentatoren (derer Internetseiten seither gesperrt wurden) haben die Ansicht vertreten, dass die Verunreinigung mit Melamin den Unternehmen die Möglichkeit bot, die steigenden Gestehungskosten weiterzugeben.

Vor dem Hintergrund verbreiteter Korruption, sträflich laxer Normen und gänzlich fehlender unabhängiger Arbeitnehmerorganisationen, die die Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern und Verbrauchern überwachen könnten, kommt den Unternehmen eine besondere Verantwortung zu. Immer neue Hinweise auf die Produktsicherheit genügen da nicht. Laxheit bedeutet Tod und Krankheit.

Sicherheitsbedenken in Bezug auf Nestlé-Milcherzeugnisse sind nicht neu. 2002 importierte Nestlé abgelaufenes Milchpulver nach Kolumbien, wo es (mit neuen Verfallsdaten) neu verpackt wurde. Gesundheitsinspektoren entdeckten es, ehe es zum Verkauf freigegeben wurde. Nestlé erklärte, das Pulver werde aus Gesundheitsgründen umgepackt.

2005 stellten chinesische Behörden erhöhte Jodwerte bei Nestlé-Babymilch fest. Nestlé behauptete, diese Mengen lägen "nur ein bisschen" über den vorgeschriebenen Werten, und konnte nur mit Mühe veranlasst werden, das Produkt zurückzurufen und sich schließlich zu entschuldigen. Ebenfalls im Jahr 2005, und zwar diesmal in Europa, wurden in Italien 30 Millionen Liter Nestlé-Babymilchprodukte beschlagnahmt, und die gleichen Artikel wurden auch in vier anderen europäischen Ländern zurückgerufen, nachdem festgestellt worden war, dass Druckfarbe der Verpackungen in den Inhalt gelangte. Tetra Pak, der Hersteller dieser Verpackungen, behauptete, das Problem sei ihm bekannt gewesen und er habe daraufhin seine Produktionsmethoden im September geändert. Der Rückruf erfolgte aber erst im November, nachdem die italienische Polizei damit begonnen hatte, die betreffenden Produkte in Supermärkten, Lagern und LKWs zu beschlagnahmen. Der Nestlé-Konzernchef Brabeck nannte dies "einen Sturm im Wasserglas", und behauptete nach wie vor, die Produkte stellten keinerlei Gesundheitsgefahren dar.

Aber auch in China tätige transnationale Hersteller haben sich in dieser Affäre kaum mit Ruhm bedeckt - es gibt beträchtliche chronologische Lücken zwischen der Feststellung der Verunreinigung und den tatsächlichen Rückrufen und Produktionseinstellungen. Nestlé jedoch - das größte Lebensmittelunternehmen der Welt - hat sich einmal mehr dadurch ausgezeichnet, dass ihm Öffentlichkeitsarbeit wichtiger als Vorsorge ist.