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IUL
Vereinigt Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen weltweit



FAO kapituliert vor dem Hunger

An die IUL Web-Site geschickt am 12-Jun-2008

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Vor dem Hintergrund einer Hyperinflation bei Grundnahrungsmitteln und globaler Hungerrevolten einberufen, erbrachte die j�ngste Hochrangige Konferenz der FAO �ber Weltern�hrungssicherheit in Rom als verbl�ffendstes Ergebnis die un�berh�rbare Aufforderung, so weiterzumachen wie bisher. Obwohl die Konferenz eigentlich veranstaltet worden war, um dringende Probleme der Ern�hrungssicherheit, des Klimawandels und der Bioenergie zu l�sen, hatte sie in ihrer Schlusserkl�rung keine einzige Antwort zu bieten.

Dank der massiven Lobbyarbeit der USA, der EU und Brasiliens wurden die zunehmende Nutzung landwirtschaftlicher Erzeugnisse als Biotreibstoffe statt als Lebensmittel und die damit verbundene Preisinflation bei Grundnahrungsmitteln als "Herausforderung" und "Chance" verniedlicht - ohne dass erkl�rt wurde, wie die Steigerung der Biotreibstoffproduktion den Hunger bek�mpfen soll. Die ver�nderte Nutzung wird also weitergehen - und die Preise werden weiter steigen und der Hunger wird weiter zunehmen.

Die Konferenz hatte kein Mittel gegen die gewaltigen Str�me von Spekulationskapital in die Terminm�rkte f�r Lebensmittelrohstoffe anzubieten, die im Zusammenwirken mit dem Biotreibstoffboom die Preise f�r Grundnahrungsmittel in schwindelnde H�he treiben. Das rhetorische Eintreten f�r weniger energieintensive Landwirtschaftsmethoden wurde als Zugang von mehr Kleinerzeugern zum Weltmarkt formuliert, dessen Schwankungen seit Jahrzehnten die Lebensgrundlagen dieser Erzeuger ersch�ttern - unabh�ngig davon, ob die Preise zusammenbrechen oder in immer neue H�hen klettern. Die Probleme der Landarbeiter - Armut, Hunger, Gewalt, Zugang zu Trinkwasser und die allt�glichen Verletzungen grundlegender Rechte - standen nicht einmal auf der Tagesordnung. Trotz des Geredes �ber "dringende Ma�nahmen" blieb es nur bei humanit�rer Hilfe - und der Forderung nach einem raschen Abschluss der Doha-Verhandlungsrunde der WTO �ber eine weitere Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, dessen zunehmende Liberalisierung aber genau der Kern des Problems ist.

Die Konferenz war ein Fehlschlag, weil die Ern�hrungskrise im wesentlichen auf die zunehmende Eskalation der Lebensmittelpreise in den letzten drei Jahren reduziert wurde. Diese ist aber nur ein Symptom einer anhaltenden l�ngerfristigen Krise, die mehr als 800 Millionen Menschen, darunter jenen, die in der Landwirtschaft t�tig sind, immer wieder das Recht auf angemessene Ern�hrung raubt.

Die Frage, die die Organisatoren der Konferenz nicht gestellt haben, lautet, warum so viele Millionen bereits am Rande der Existenz leben und warum so viele dieser Menschen in der Landwirtschaft t�tig sind? Sch�tzungen zufolge kann jeder Anstieg des Preises von Grundnahrungsmitteln um einen Prozentpunkt bedeuten, dass weitere 16 Millionen in Entwicklungsl�ndern Hunger leiden. Die Preise einiger Grundnahrungsmittel haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt und verdreifacht, einige davon sogar innerhalb weniger Monate. Am 31. M�rz stieg der Reispreis an den Terminb�rsen an einem einzigen Tag um 31%, und am 25. Februar der Weizenpreis um 27%. Dass es zu Hungerrevolten kommt, sollte deshalb niemanden �berraschen.

Wenn es also dringend erforderlich ist, den Anstieg der Preise zu stoppen, muss man sich fragen, warum es keine offiziellen Vorschl�ge gibt, die Einkommen der Landarbeiter zu erh�hen, um dadurch den Verlust an Kaufkraft und Kalorien auszugleichen? Warum litten Millionen Landarbeiter unter Hunger und Armut, als die Preise f�r landwirtschaftlich Rohstoffe st�ndig sanken, wie dies in den 1990er Jahren der Fall war? Wir sollten die Frage stellen, warum beispielsweise die Einzelhandelspreise f�r Kaffee, Tee oder Zucker mehr als ein Jahrzehnt lang stabil blieben oder sogar stiegen, w�hrend sich gleichzeitig die Weltmarktpreise f�r diese Produkte im freien Fall befanden. Warum stiegen in diesen Jahren die Gewinne der transnationalen Verarbeiter und H�ndler und festigten sich gleichzeitig ihre K�ufermacht und Marktposition, w�hrend die L�hne der Kaffee-, Tee- und Zuckerarbeiter stagnierten oder in einigen F�llen sogar drastisch fielen?

Wo ist die Kopplung von Rohstoffpreisen, Einzelhandelspreisen, L�hnen und Kaufkraft, die, wie uns die WTO versicherte, der liberalisierte Handel durch die "optimale Nutzung der Ressourcen" bewirken werde? Das WTO-System - und insbesondere das Landwirtschaftsabkommen - erleichterten Einfuhrsteigerungen, die ganze Systeme der lokalen und nationalen Nahrungsmittelproduktion zerst�rten. Die Abh�ngigkeit von den schwankenden globalen Rohstoffpreisen hat ganze Bev�lkerungen an den Rand des Hungertodes getrieben.

Rohstoffpreise allein sagen nichts dar�ber aus, in welchem Umfang die Landarbeiter der Welt sich selbst oder die Armen in den St�dten ern�hren k�nnen. Die Hauptprobleme sind Verletzbarkeit, Volatibilit�t und die Wertgewinnung entlang der Nahrungsmittelkette.

W�hrend weiteren 100 Millionen Menschen durch die rasch steigenden Getreide- und �lsaatpreise der Hungertod droht, erreichen die Gewinne der Handels- und Verarbeitungskonzerne Rekordh�hen. Cargill, das weltweit gr��te Handelsunternehmen, verzeichnete im ersten Quartal dieses Jahres einen Gewinnanstieg aus dem Rohstoffhandel um 86%. Die Gewinne von ADM, dem zweitgr��ten Handelsunternehmen, waren 2007 um 67% h�her als im Vorjahr. Bunge konnte auf der Welle der steigenden Nachfrage nach �lsaat zur Erzeugung von Biodiesel im ersten Quartal dieses Jahres einen Gewinnanstieg um 77% verbuchen. Nestl�, der gr��te Lebensmittelkonzern der Welt, meldete au�ergew�hnlich hohe Gewinne und startete ein Aktienr�ckkaufprogramm im Umfang von 25 Milliarden Dollar - wobei das Unternehmen seinen Arbeitnehmern gleichzeitig erl�uterte, dass sie sich wegen der h�heren Input-Preise auf Entlassungen und Lohnk�rzungen vorbereiten sollten.

Im 50-seitigen Dokument der FAO f�r die Weltern�hrungskonferenz findet sich das Wort `Unternehmen� nicht ein einziges Mal - und das in einem Bericht mit dem Titel "Tatsachen, Perspektiven, Auswirkungen und notwendige Aktionen". Es findet sich auch nicht im Landwirtschaftsausblick 2008-2017 von OECD und FAO - dagegen aber eine Botschaft an die Armen der Welt, wonach sie f�r die Dauer des n�chsten Jahrzehnts oder noch l�nger mit Lebensmittelpreisen rechnen m�ssen, die f�r sie nicht erschwinglich sein werden. In beiden Dokumenten sind die Hauptprobleme und Hauptakteure der Krise des Weltern�hrungssystems bewusst ausgeklammert worden. Die Triebkraft f�r die Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen im abgelaufenen Jahrzehnt - n�mlich die gewaltige Zunahme des Einflusses, der Macht und der Markanteile transnationaler Konzerne, nicht nur �ber Grenzen hinweg, sondern �ber konzerninterne Gesch�fte und Tochterfirmen auch innerhalb lokaler und nationaler M�rkte - wird mit keinem Wort erw�hnt. Es gibt nur M�rkte, Marktsignale und Preise. Wie k�nnen wir angesichts dieser "Tatsachen" und dieser "Perspektive" die wirklichen Mechanismen verstehen und die Probleme in sinnvoller Weise angehen?

W�hrend internationale Organisationen pl�tzlich entdeckt haben, dass die Landwirtschaftsinvestitionen zu gering sind, haben sich die Rohstoffindexinvestitionen von 13 Milliarden US-Dollar im Jahr 2003 auf 260 Milliarden Dollar im M�rz 2008 erh�ht - und k�nnten nach Ansicht einiger Analysten sogar eine Billion US-Dollar erreichen. Private Equity und Hedge Fonds - Investoren, die in erster Linie kurzfristige, hohe Gewinne anstreben - beschr�nken sich nicht mehr auf die Terminm�rkte, sondern wenden nunmehr Milliarden auf, um Ackerland, Inputs und Infrastruktureinrichtungen zu erwerben. Und dennoch widmete das Dokument der FAO f�r die Konferenz von Rom dieser Entwicklung im Abschnitt "Beurteilung j�ngster Entwicklungen" nur ganze zwei Abs�tze und nicht ein Wort im Abschnitt "grundsatzpolitische Optionen". Es bedurfte keiner Lobbyarbeit, um die Konferenz davon abzuhalten, die erneute Regulierung der Finanzm�rkte zu fordern - dieses Thema stand nicht einmal zur Diskussion. Aber schon eine geringe Steuer auf diese gewaltigen Gewinne w�rde betr�chtliche Mittel liefern, mit denen damit begonnen werden k�nnte, die Sch�den des Ern�hrungssystems zu reparieren.

Da die wichtigsten Akteure unsichtbar blieben - insbesondere die Konzerne und die Finanzinvestoren, die zunehmend diktieren, wie und was angebaut, geerntet, verarbeitet und zu welchem Preis vertrieben wird - m�ssen wir uns mit einem "Aktionsplan" begn�gen, der den Armen erkl�rt, es werde im wesentlichen weitergehen wie bisher. Was in Rom eine Gelegenheit f�r die Regierungen h�tte sein sollen, ihre Entschlossenheit zu bekunden, ihrer Verpflichtung nach internationalem Recht nachzukommen, das Recht auf Ern�hrung zu sch�tzen und durchzusetzen, wurde der Lobby der Agrolebensmittelkonzerne geopfert.

Hilfe f�r Entwicklungsl�nder mit Zahlungsbilanzproblemen aufgrund eines massiven Nahrungsmitteleinfuhrdefizits kann das grundlegende Problem nicht l�sen. Was die WTO-Verhandlungsrunde zu bieten hat, wird den globalen Hunger nur vergr��ern, egal wie dieses Angebot behutsam in vage Formulierungen von "Nachhaltigkeit" verpackt wird.

Die IUL-Branchegruppe der Landwirtschaftsarbeitnehmer hat auf ihrer Tagung 2005 unmittelbar von der Hongkonger Ministertagung der WTO nachdr�cklich darauf hingewiesen, dass die wirklichen Probleme der Landarbeiter einmal mehr nicht zur Diskussion standen: "Nachhaltige Ressourcen m�ssen international mobilisiert werden, um Aufbauma�nahmen zu erleichtern und zu f�rdern, um die durch exportorientierte intensive Produktionsmethoden entstandenen Sozial- und Umweltsch�den umzukehren und die Landwirtschaft neu zu gestalten, damit sie ihrer prim�ren Aufgabe gerecht wird, das Recht auf sichere, angemessene und nahrhafte Lebensmittel unter menschenw�rdigen Arbeitsbedingungen zu sichern". Die Konferenz von Rom bedeutete drei weitere Jahre verlorener Zeit und verlorener Leben.