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IUL
Vereinigt Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen weltweit



Treibstoff für den Hunger

An die IUL Web-Site geschickt am 29-Apr-2008

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Häufig sehen wir Lebensmittel auf den Regalen, aber die Menschen können sie sich nicht leisten.
Exekutivdirektorin Josette Sheeran vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen über "Das neue Gesicht des Hungers".

Heute Biotreibstoffe zu produzieren, ist ein Verbrechen gegen die Menschheit.
Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf Ernährung

Ich stelle fest, dass Nahrungsmittel so stark in den Vordergrund rücken, und sie scheinen in der Investmentbranche so sehr im Trend zu liegen ... Für mich entwickeln sich die Märkte wie eine Blase.
Chefvolkswirt Jim O´Neill von Goldman Sachs







Rund 16 Monate, nachdem Zehntausende Mexikaner auf die Straße gingen, um gegen eine Vervierfachung des Preises für Tortillas (flache Maisbrote, die das Grundnahrungsmittel in diesem Land bilden) zu protestieren, sind Politiker und internationale Organisationen aufgewacht und haben endlich den gewaltigen Umfang der globalen Ernährungskrise erkannt. Von Argentinien bis Jemen, von Bolivien bis Usbekistan kommt es überall auf dem Globus zu Hungerrevolten. Die FAO weist warnend darauf hin, dass die globalen Nahrungsmittelreserven so niedrig sind wie seit 15 Jahren nicht mehr, und erklärt, dass bei weiter steigenden Preisen Hungerrevolten in den nächsten Jahren zu einem allgemein verbreiteten Phänomen werden. Der IWF spricht jetzt von 100 Millionen potenziellen neuen Hungertoten.

Was bewirkt den Gesamtanstieg der internationalen Nahrungsmittelpreise um 90% in den letzten drei Jahren, die Verdoppelung des Weizenpreises in weniger als einem Jahr und ähnlich dramatische Preissteigerungen bei anderen Getreidearten und Speiseöl im abgelaufenen Jahr? Eine vermeintliche Erklärung ist von Politikern, der Wirtschaft, Journalisten und selbst dem Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) so häufig wiederholt worden, dass sie niemals kritisch überprüft worden ist. Immer wieder hat man uns gesagt, dass die eskalierenden Lebensmittelpreise das Ergebnis einer steigenden Nachfrage in den Entwicklungsländern sind, deren wachsender Bedarf an Fleisch und Milch die Preise beschleunigt nach oben treibt. Die steigende Nachfrage nach tierischem Eiweiß ist jedoch bisher gleichmäßig und keinesfalls explosionsartig verlaufen. Sie kann weder den Anstieg des Reispreises um 31%, der allein in den letzten Märztagen verzeichnet wurde, noch die Preissteigerung bei mexikanischen Tortillas um 400% erklären. Indien, das durch die steigenden Reispreise hart getroffen wird, hat 2007/08 Rekordernten an Reis, Weizen und Ölpflanzen verzeichnet. Mexiko hat 2006 Mais exportiert; 2007 gab es Rekordernten in Mexiko, in der gesamten Region und weltweit.

Die andere übliche Erklärung für die drastische, galoppierende Preisinflation bei Nahrungsmitteln - die durch den Klimawandel bedingte Verknappung der Anbauflächen und Wasserressourcen - wird ebenfalls durch die Fakten widerlegt, obwohl das Problem natürlich durchaus real ist und dringende Gegenmaßnahmen erfordert. Die schlechte Getreideernte in Australien infolge der Dürre dürfte die internationalen Weizenpreise um höchstens 1,5% erhöht haben.

Zweifellos ist es jedoch der Übergang vom Grundnahrungsmittelanbau zum Biotreibstoffanbau, der die weltweiten Nahrungsmittelvorräte so gefährlich reduziert hat und die Preise so stark in die Höhe treibt, dass Grundnahrungsmittel für die Armen in den ländlichen Gebieten und in den Städten der Welt zu einem Luxusgut geworden sind. Zu den Biotreibstoffen aus Grundnahrungs- und Futtermitteln gehören Ethanol aus Mais, Zuckerrohr, Zuckerrüben und Weizen sowie Biodiesel aus Sojabohnen, Sonnenblumenöl, Palmöl, Raps und anderen Pflanzen. 20 bis 50% der in den großen Anbauländern erzeugten Futtermittel, insbesondere Mais und Raps, wandern nunmehr in den Tank, statt in die Futterkrippe. Dies wiederum hat den Preis für Sojabohnen in die Höhe getrieben, weltweit eine weitere wichtige Eiweißquelle, und damit auch die Preise für Fleisch, Milcherzeugnisse und andere Lebensmittel.

Was die Lebensmittelkosten aggressiv in die Höhe treibt, ist nicht der wachsende Bedarf an anderen eiweißhaltigen Produkten, sondern der Biotreibstoffhunger der Konzerne. Der Mais, der gegenwärtig in den USA zur Herstellung von Ethanol verwendet wird, würde ausreichen, um den derzeitigen Bedarf aller Länder mit niedrigen Einkommen und Lebensmitteldefiziten auf der LIste der FAO zu decken -und dabei wollen die Vereinigten Staaten die Ethanolproduktion verfünffachen. Wenn aber die gesamte US-amerikanische Maisernte, statt nur 20% davon, wie im letzten Jahr, zur Herstellung von Ethanol verwendet würde, könnten damit nur 7% des derzeitigen amerikanischen Benzinverbrauchs ersetzt werden. Man hat geschätzt, dass die Hälfte der vorhandenen Anbaufläche in der EU für die Produktion von Nicht-Nahrungsmitteln bereitgestellt werden müsste, wenn die verbindlichen Zielvorgaben der EU für den Biospritanteil durch die eigene Produktion gedeckt werden sollen. Indonesien strebt eine Erhöhung der Palmölproduktion um 400% im kommenden Jahrzehnt an. Diese Maßnahmen werden katastrophale soziale, ökologische und klimatische Folgen haben.

Immer wieder wurde behauptet, dass ein Übergang zu Biotreibstoffen die Umwelt schützt. Wenn jedoch alle Faktoren korrekt berücksichtigt werden, ist die zur Erzeugung einer bestimmten Einheit Biotreibstoff erforderliche Energie (überwiegend auf Erdölbasis) wesentlich größer als die Energieleistung des Biotreibstoffs selbst. Einige der diskutierten Biotreibstoffqellen der "zweiten Generation" (wie zellstoffhaltige Biomasse von Bäumen, die an Stelle von Grundnahrungsmitteln angepflanzt würden) sind noch größere Energieverbraucher. Sie tragen dazu bei, dass die Wasser- und Bodenressourcen vermindert werden, indem beispielsweise die Tropenwälder (die CO2-Fallen des Planeten) vernichtet werden, und dass die Palmöl- und Sojaproduktion ausgeweitet wird, während der Beitrag, den sie zur Umkehrung der Klimaerwärmung leisten, eindeutig negativ ist. Die Biotreibstoffproduktion bedeutet mehr, nicht weniger Treibhausgase.

Während die Hungerrevolten und der drohende Hungertod von Millionen langsam die optimistischen Vorhersagen über eine Umkehr des Klimawandels mit Hilfe von Biotreibstofen erschüttern, sind zwei weitere kritische Aspekte weitgehend unbeachtet geblieben, als ob der Biotreibstoffboom in der sauberen Luft eines Labor-Gewächshauses stattfände.

Erstens erfolgt die Förderung von Biotreibstoffen durch Subventionen und andere Maßnahmen vor dem Hintergrund einer extrem starken Konzentration der Lieferkette. Zwei Unternehmen - Cargill und ADM - beherrschen weitgehend den Welthandel mit Mais und anderen Getreidearten. Eine Handvoll TNKs dominiert die Zuckerproduktion und den Zuckerhandel. Eine ähnlich starke Konzentration besteht häufig auch auf nationaler Ebene. Ein Unternehmen - Grupo Gruma in Mexiko - kontrolliert mehr als drei Viertel des Binnenmarktes für Tortillamehl. Die konzentrierte Kaufkraft dieser Konzerne bestimmt die Preise.

Zweitens sind in den letzten Jahren gewaltige Kapitalmengen in die Märkte für Agrarprodukte geflossen, und dieser Kapitalzustrom wächst weiter an, da die Investoren, die aus den schrumpfenden Finanzmärkten flüchten, neue Anlagemöglichkeiten suchen. Spekulationskapital verstärkt den Boom bei Grundnahrungsmitteln und bewirkt damit eine klassische "Blase". Auch nahrungsmittelverarbeitende Konzerne investieren immer mehr Gelder in diese Märkte und heizen damit die Preisentwicklung weiter an, ohne dass dies grundlegende Auswirkungen auf die Nutzung von Getreide als Energielieferant, statt als Nahrungsmittel hätte.

Wenn der genaue Beitrag, den Spekulation, Hedgegeschäfte und altmodische Hortungskäufe zur Preisinflation bei Nahrungsmitteln leisten, zur Zeit nicht genau bestimmt werden kann, dann deshalb, weil nur wenige Organisationen, die plötzlich auf die Lebensmittelkrise aufmerksam geworden sind, diese Frage auch nur gestellt haben. Dies wiederum hat entscheidende Auswirkungen auf die grundsatzpolitischen Vorschläge zur Behandlung der Krise. Die Inflation der Lebensmittelpreise in den Griff zu bekommen, bedeutet die Konfrontation mit der konzentrierten Macht der Lebensmittelkonzerne und erfordert die Zügelung der Finanzspekulanten.

Der Chef der Weltbank Zoellick hat mit dem Gespenst des Massenhungers gedroht, um einen "New Deal" für die Landwirtschaft zu fordern - der von IWF und Weltbank umzusetzen wäre. Dieser New Deal gleicht jedoch verdächtig dem alten. Gemeinsam mit der WTO haben die internationalen Finanzinstitutionen ein Welternährungssystem gefordert und durchgesetzt, das von einer Handvoll riesiger Konzerne beherrscht wird, deren Macht und Reichweite auf Produktionssystemen beruhen, die auf massive Exporte auf Kosten der inländischen Produktionskapazitäten ausgerichtet sind. Die weltweiten Hungerrevolten beweisen, dass hungrige Konzerne zu füttern nicht dasselbe ist, wie hungrige Menschen zu ernähren.

Statt die Institutionen, die die Krise verursacht haben, aufzufordern, sie wieder zu beheben, müssen Gewerkschaften gemeinsam mit Organisationen der Zivilgesellschaft eine öffentliche Untersuchung der Kostensteigerungen für Grundnahrungsmittel durch die Vereinten Nationen fordern. Zwar wird die Rolle der FAO bei der Reaktion auf die Krise allgemein anerkannt, doch ist ihre eigene Bilanz in vielfacher Hinsicht fragwürdig. Auch sie hat die exportorientierte industrialisierte Landwirtschaft auf Kosten der Ernährungssicherheit und der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit gefördert. Wenn die Vereinten Nationen eine Führungsrolle bei der Entwicklung von Strategien und Maßnahmen gegen die Krise übernehmen sollen, müssen daran ganz offiziell auch der UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf Ernährung sowie die UNCTAD als UN-Organisation mit den meisten Erfahrungen auf dem Gebiet der internationalen Rohstoffmärkte und die IAO, die einzige UN-Organisation, in der Gewerkschaften eine Stimme haben, beteiligt werden.

Angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Krise muss das Landwirtschaftsabkommen der WTO ausgesetzt werden, damit Regierungen den erforderlichen politischen Spielraum erhalten, um Maßnahmen gegen die Krise treffen zu können. Einfuhren zu regeln, Ausfuhren zu beschränken oder gar zu unterbinden, Zölle zu erheben und Produktionssubventionen zu leisten, um den inländischen Nahrungsmittelbedarf (nicht Biotreibstoffbedarf) zu decken, müssen als legitime Maßnahmen zur Verteidigung der Ernährungssicherheit betrachtet werden, die gegenüber den Regeln der WTO Vorrang haben.

Die Regierungen der großen Ausfuhrländer von Grundnahrungsmitteln müssten dem Welternährungsprogrammm Vorräte unter den Weltmarktpreisen oder entsprechende Gelder zur Verfügung stellen, damit die Regierungen der Länder mit Nahrungsmitteldefiziten aus geeigneten Quellen Nahrungsmittel zu subventionierten Preisen beziehen können. Vorrangig müssen Mittel für ein internationales Programm zur Stärkung von Systemen der lokalen und binnenstaatlichen Nahrungsmittelproduktion aufgebracht werden. Da die Inflation der Nahrungsmittelpreise eine aggressive Besteuerung der Armen bedeutet, die in Entwicklungsländern den größten Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden müssen, wäre die Besteuerung der Riesengewinne der mit Getreide handelnden und Getreide verarbeitenden TNKs ein legitimes Mittel, um die Umgestaltung der Landwirtschaft wenigstens zum Teil zu finanzieren. Und die Gewerkschaften sollten sich bemühen, den jüngsten Beschluss der IUL-Exekutive umzusetzen, die auf ihrer Tagung vom 17.-18. April in Genf ein Moratorium der Ausweitung der Biotreibstoffproduktion bis zu einer umfassenden Beurteilung ihrer Sozial-, Beschäftigungs- und Umweltkonsequenzen gefordert hat. Ernährungsrechte - das Recht aller auf erschwingliche nahrhafte Lebensmittel und die Rechte jener, die die Nahrungsmittel der Welt erzeugen - müsssen das Kernstück einer globalen Ernährungspolitik sein.