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Was kommt als nächstes in der WTO, wenn wir nicht jetzt mobilisieren

An die IUL Web-Site geschickt am 23-Apr-2002

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1998 errangen die Gegner der von den Konzernen betriebenen Globalisierung einen entscheidenden Sieg, als der Text des vorgeschlagenen Multilateralen Investititons-abkommens (MAI) der OECD über das Internet verbreitet wurden. Einigen der maß-gebenden Regierungen war das so peinlich, dass sie ihre Unterstützung der von vielen (ganz zu Recht) als Freibrief für die unbeschränkten Rechte transnationaler Investoren betrachtete internationale Urkunde zurückzogen. Die Befürworter des MAI aus den Kreisen der Konzerne haben jedoch dieses Projekt niemals aufgegeben. Es ist vielmehr an anderer Stelle wieder aufgetaucht, so etwa in Form der vorgeschlagenen Investitionsbestimmungen des Amerikanischen Freihandelsabkommens (FTAA), das das Nordamerikanische Freizhandelsabkommen (NAFTA) auf die Länder Mittel- und Südamerikas und der Karibik erweitern soll. Und es fasst auch wieder in der WTO Fuß.



Die als Teil der "Doha-Entwicklungsrunde" der WTO angenommenen Abschnitte über "Handel und Investitionen" haben den Weg zu einer umfassenden MAI-artigen Charta der multinationalen Investorenrechte in der WTO gebahnt. Jetzt vermitteln vertrauliche Dokumente der Europäischen Kommission, die den Standpunkt der Europäischen Union bei den WTO-Verhandlungen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) festlegen, einen Eindruck von dem, was von den GATS-Verhandlungen zu erwarten ist, wenn der Appetit der Konzerne nicht gezügelt wird. Die Dokumente wurden am 16. April bekannt und können in Englisch unter Gatswatch abgerufen werden.



Die Dokumente enthalten eine noch unvollständige Reihe von Forderungen, die die EU an 29 reiche und arme WTO-Mitgliedstaaten richten will. Im wesentlichen aber bedeuten diese in der bürokratischen Sprache der WTO abgefassten Forderungen einen einzigen Vorschlag: Dienstleistungen, darunter Wasser- und Energieversorgung, Transportwesen, Kommunikationen, sowie Reisen und Tourismus, sollen an die Konzerne versteigert und innerstaatliche Gesetze zum Schutz dieser Bereiche gegen ihre totale Beherrschung durch die Konzerne aufgehoben werden. Unter den Gesamtbegriff "Umweltdienste" fallen dabei unter anderem "das Sammeln, die Aufbereitung und die Verteilung von Wasser über Leitungsnetze, die Behandlung fester/gefährlicher Abfälle, die Abfallbeseitigung, sanitäre und ähnliche Schutzmaß-nahmen für die Luft und das Klima, Dienste zur Verminderung von Auspuffgasen und anderen Emissionen und zur Verbesserung der Luftqualität, die Verbesserung und Reinigung von Boden und Wasser, die Verbesserung und Behandlung von verun-reinigtem Boden, der Schutz der Biovielfalt und Landschaft" und "sonstige Umwelt- und Nebendienste".



Diese Forderungen zeigen den Weg zu einer Welt, in der die Konzerne vollprivatisierte Wasserversorgungssysteme für die Industrie, die Landwirtschaft und die Verbraucher kontrollieren. Konzernwasser wird die Felder bewässern, auf denen genetisch veränderte Kulturen angebaut werden. "Umweltdienste" der Konzerne werden den Regierungen Rechnungen für die Beseitigung giftiger Abfälle vorlegen, auch wenn diese von den transnationalen Konzernen selbst erzeugt wurden. Private medizinische Dienste werden die Opfer und die Kranken behandeln, die es sich leisten können, hierfür zu zahlen. Das öffentliche Schulwesen wird durch "Bildungsdienste" abgelöst werden, die von privaten Unternehmen geboten werden.



Ist das eine Übertreibung? Die UPS hat die Regierung Kanadas nach Kapitel 11 des NAFTA verklagt, weil sie an einem öffentlichen Postsystem festhält. Diese Klage stellt den Grundgedanken des öffentlichen Sektors selbst in Frage. Und das NAFTA-Kapitel 11, das bereits genutzt wurde, um Umweltgesetze zum Schutz der öffentlichen Gesundheit in allen drei Unterzeichnerstaaten außer Kraft zu setzen, war das Modell für das MAI und inspiriert zum großen Teil das, was zweifellos im Rahmen der WTO-Investitionsvorschläge der DOHA-Runde auf den Tisch kommen wird.



Zwar werden Klagen von Investoren gegen Staaten, die innerhalb des NAFTA mit so katastrophaler Wirkung eingesetzt worden sind, nicht unbedingt in den neuen WTO-Investitonsregeln vorgesehen werden, doch ist selbst diese Möglichkeit nicht völlig auszuschließen. Sicher ist, dass durch GATS ein umfassender Schutz für transna-tionale Investoren verankert werden kann. Die NAFTA-Regeln bestimmen, dass innerstaatliche Gesetze die "geringsten Handelsbeschränkungen" bewirken müssen. Die Europäischen GATS-Verhandlungsführer haben sich ihrerseits Vorschläge der Konzerne zu einem erweiterten "Notwendigkeitskriterium" zu eigen gemacht, nach dem Mitgliedstaaten verpflichtet wären, den Nachweis zu erbringen, dass Vorschrif-ten zum Schutz des öffentlichen Interesses für Investoren nicht "hinderlicher als notwendig" sind. Im Klartext heißt dies: Alle Maßnahmen, die die Betriebskosten der Unternehmen erhöhen würden, könnten von Investoren angegriffen und deshalb von der WTO für ungültig erklärt werden. Bei solchen GATS-Regeln sind lästige Klagen von Investoren gegen Staaten gar nicht notwendig, da die Regierungen von vornherein darauf verzichten werden, für das öffentliche Interesse einzutreten.



Während die EU-Regierungen und die Handelsbürokraten bemüht sind, den Schaden in Grenzen zu halten und festzustellen, wer diese vertraulichen Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, können die Gewerkschaften eine Menge aus dieser Episode der endlosen Geschichte der geheimen Handelsdiplomatie lernen. Zunächst einmal, dass weder nationale noch supranationale Regierungen keinen Handel treiben. Handel treiben die Konzerne, und der Appetit der Konzerne kennt heute keine Grenzen und keine Schranken mehr. Die EU behauptet von sich, der "nachhaltigen Entwicklung" verpflichtet zu sein. Die Haltung der EU in den GATS-Gesprächen zeigt dagegen in eine ganz andere Richtung. Der verstärkte Marktzu-gang der Entwicklungsländer durch das vom Handelskommissar Pascal Lamy propagierte "Alles außer Waffen" Handelspaket hat ganz offensichtlich einen hohen Preis, der sich am besten mit dem Slogan "Alles zur Versteigerung freigegeben" beschreiben lässt.



Sodann die Tatsache, dass die Mobilisierung der Massen zwar das MAI zu Fall gebracht hat, nicht jedoch endgültig. Gewerkschaften und verbündete Organisationen werden die GATS-Gespräche genau verfolgen und äußerst wachsam bleiben müssen, wenn sichergestellt werden soll, dass das MAI nicht durch die GATS-Hintertür wieder auftaucht.



Genauso wichtig ist, dass die Gewerkschaften auf internationaler Ebene eine alternative Vorstellung des Welthandels entwickeln und durchsetzen müssen, nach der demokratische Entwicklung und die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse und nicht privater Profit den Handel regeln. Drohungen wie das MAI und die GATS-Vorschläge, die sogar die genetischen Ressourcen der Welt, die Luft und das Wasser dem meistbietenden Konzern ausliefern würden, werden so lange immer wieder auftreten, bis die Logik der Solidarität die Logik der Aufsichtsräte ablöst und Rechte wichtiger sind als Gewinn.