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IUL
Vereinigt Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen weltweit



GVOs und die WTO: Verteidigung eines auslaufenden Moratoriums

An die IUL Web-Site geschickt am 02-Jul-2004

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Im Mai vorigen Jahres reichten die USA (mit Unterst�tzung Argentiniens, Kanadas und einer ephemeren "Koalition der Willigen") eine formelle WTO-Klage gegen die Europ�ischen Gemeinschaften (EG) ein, weil diese sich seit 1998 geweigert hatten, auch nur ein einziges neues genetisch ver�ndertes Erzeugnis zu genehmigen. In der Klage hie� es, dieses "de facto Moratorium" verletze im �bereinkommen �ber die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Ma�nahmen (SPS) sowie im �bereinkommen �ber technische Handelshemmnisse (TBT) veran-kerte WTO-Verpflichtungen. Zu ihrer Verteidigung bestritten die EG zun�chst die Existenz eines Moratoriums und argumentierten, dass ihre Verfahren f�r die Risiko-beurteilung und Genehmigung von GVOs den WTO-Regeln entspr�chen.

GVO-Beschr�nkungen damit zu verteidigen, dass sie WTO-kompatibel seien, ist ein riskantes Unterfangen. Die Regeln der WTO, einschlie�lich der SPS- und TBT-�ber-einkommen, wurden formuliert, um die Herrschaft der Unternehmen zu st�rken, und die transnationalen Agrolebensmittel-Konzerne aus den EG haben von ihnen in hohem Ma�e profitiert. F�r die Regeln gibt es einen Grund. Das Moratorium ist nach der Rechtsauffassung der WTO angreifbar, da diese Diskriminierungen "�hnlicher Erzeugnisse" und "unangemessene Verz�gerungen" bei der Genehmigung des grenz�berschreitenden Verkehrs neuer Erzeugnisse nicht zul��t.

Angesichts drohender Handelssanktionen in Millionenh�he mussten die EG neue Argumente finden. Die erste schriftliche EG-Eingabe in diesem Fall, die vom 17. Mai datiert ist, l�sst deshalb eine deutliche �nderung des fr�heren Standpunktes erken-nen.

Die Eingabe ist widerspr�chlich, weil die Europ�ische Kommission gleichzeitig unter dem Druck der US-Regierung (in ihrer Rolle als Vollstrecker der Agrarwirtschaft), der europ�ischen Verbraucher (die GVOs ablehnen) und der eigenen europ�ischen Biotech-Unternehmen (die st�ndig gegen das Moratorium gek�mpft haben) steht. Statt das Moratorium zu verteidigen, argumentieren die EG nach wie vor, dass die Ablehnung neuer GVO-Antr�ge dem Geist, wenn auch nicht immer dem Buchstaben einschl�giger Regeln und Rechtsauffassungen der WTO entsprochen habe. Es habe nie ein offizielles Moratorium gegeben, weder de facto noch de jure, hei�t es weiter, so dass die Klage auf ein Phantom abziele. Eindeutige Verbote von GVOs in ande-ren L�ndern werden als Beweise f�r die eigentliche Zur�ckhaltung und M��igung der EG angef�hrt. Man k�nnte viel schlimmer handeln, wollen die EG damit sagen, des-halb solltet ihr uns eine Atempause gew�hren.

Weil Gewerkschaften an der Ausarbeitung der Eingabe nicht beteiligt waren � ange-sichts der direkten Auswirkungen von GVOs f�r Lebensmittel- und Landwirtschafts-arbeitnehmer ein schwerwiegender Mangel - ist die Dokumentation unvollst�ndig und selektiv. So enth�lt beispielsweise Abschnitt 4a "Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit" keinen Hinweis auf die Folgen der mit der Ausbreitung pestizid- und herbizidresistenter GVOs verbundenen verst�rkten Anwendung von Agrochemikalien f�r die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer. Es gibt keine Diskussion der sozialen Bedrohung, die GVOs darstellen, und ihrer Rolle als Medium der Unterneh-menskonzentration, und es kann sie auch nicht geben, da eine solche Diskussion innerhalb der WTO strikt untersagt ist.

Neu und bezeichnend an der EG-Eingabe ist die folgende Feststellung: "Es ist �u�erst fraglich, ob die WTO das geeignete internationale Forum f�r die L�sung aller GVO-Probleme ist, die die Kl�ger in diesen F�llen angesprochen haben. Die Europ�-ischen Gemeinschaften k�nnen nur bedauern, dass sich die Kl�ger f�r die Einleitung eines Konfliktbeilegungsverfahrens auf der Grundlage falscher Annahmen entschie-den haben, statt die internationale Zusammenarbeit als Mittel f�r die Entwicklung solider internationaler Rahmenbedingungen f�r die Behandlung des GVO-Problems zu f�rdern".

Diese Feststellung bedeutet eine grundlegende Schwerpunktsverlagerung der Diskussion. Wir stimmen zu: Die WTO ist nicht der Ort, um �ber die Legitimit�t und Legalit�t der Entscheidung eines Landes zu bestimmen, von seinem Recht auf Ablehnung von GVOs Gebrauch zu machen. Den internationalen Rahmen f�r den Widerstand gegen die Aufzwingung von GVOs bilden die internationalen Menschen-rechtsgesetze. Die EG nennen diesen Rahmen "internationale Zusammenarbeit". Wir nennen ihn einen "an Rechten orientierten Multilateralismus" und haben darauf hingewiesen, welche Bedeutung IAO-�bereinkommen und die multilateralen Umweltabkommen bei diesem Prozess haben.*

Der Kern des Problems ist nicht die WTO-Kompatibilit�t. Es geht vielmehr darum, ob Menschenrechte Vorrang �ber die f�r den globalen Handel geltenden Regeln haben oder ob die WTO alles �bertrumpft. In ihrer Eingabe argumentieren die EG, "es ist nicht Aufgabe des WTO-�bereinkommens, einschl�gige Regeln des internationalen Rechts zu �bertrumpfen, die ein behutsames und vorsichtiges Vorgehen erlauben - oder sogar erfordern". Aber in Wirklichkeit ist genau das eine der Hauptaufgaben des WTO-�bereinkommens. Wenn die EG nunmehr den Tatsachen ins Auge sehen m�ssen, ist dies eine durchaus positive Entwicklung.

Wir stimmen den EG zu, dass das Protokoll �ber die Biologische Sicherheit zur Internationalen Konvention �ber Biologische Vielfalt, das in der Eingabe ganz richtig als "die erste international rechtlich verbindliche Vereinbarung �ber den Handel mit genetisch ver�nderten Organismen" bezeichnet wird, das geeignete Instrument zur Behandlung des GVO-Problems darstellt. Das Protokoll �ber die Biologische Sicher-heit bietet eine Grundlage im internationalen Recht f�r die Ablehnung von GVO-Einfuhren und ihre Freisetzung in die Umwelt. Da es aber auf dem Vorsorgeprinzip beruht, kann es nur �ber die WTO hinweg und gegen sie umgesetzt werden. Die entscheidende Frage, die sich den Gewerkschaften heute stellt, lautet deshalb, wie das Protokoll wirksam genutzt werden kann, um in diesem Konflikt unsere eigene Agenda zu f�rdern.

Das Protokoll ist zwar von den EG ratifiziert worden (allerdings nicht von den USA, Kanada und Argentinien), ist jedoch nur so stark wie die f�r seine Umsetzung erforderlichen innerstaatlichen Gesetze und Ma�nahmen. Dies ist der Bereich, auf dem europ�ische Gewerkschaften jetzt eingreifen m�ssen.

Das Protokoll sieht die Einsetzung eines von den Ratifizierungsl�ndern gew�hlten Einhaltungsausschusses vor. Dieser Einhaltungsausschuss soll die Durchf�hrung des Protokolls �berwachen, F�lle der Nichteinhaltung untersuchen und Konflikte l�sen. Gewerkschaften der Lebensmittelarbeitnehmer m�ssen darauf dringen, dass sie an der Bildung dieses Ausschusses beteiligt werden und aktiv in ihm mitarbeiten k�nnen. Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, die unmittelbar mit dem Transport, dem Anbau und der Verarbeitung von Lebensmitteln befasst sind, ist besser in der Lage, die �berwachungsverfahren durchzuf�hren?

Das Protokoll �ber die Biologische Sicherheit sieht ferner die Schaffung eines umfas-senden Haftungs- und Wiedergutmachungssystems vor, dass Entsch�digungen f�r Verluste oder Sch�den durch GVO-Kontaminierung vorsieht. Eine massive GVO-Kontaminierung ist bereits Tatsache, nicht nur eine theoretische M�glichkeit. Da die Unternehmen wissen, dass GVO-Kontaminierungen durch Transport, Anbau und Verarbeitung unvermeidbar sind, hat die Drohung einer drastischen finanziellen Haftung die Kommerzialisierung von GVOs im Vereinigten K�nigreich und in anderen L�ndern bereits erfolgreich eingeschr�nkt. Es sollte nicht gez�gert werden, ein strenges Haftungssystem auch auf europ�ischer Ebene zu entwickeln - ehe die WTO ihre eigenen Sanktionen gegen legitime Ma�nahmen zur Verteidigung des Vorsorgeprinzips verh�ngt. Auch hier haben Gewerkschaften ein unmittelbares Interesse und einen Anspruch auf Beteiligung auf jeder Ebene.

Das de facto Moratorium endete am 19. Mai, als die Europ�ische Kommission die Einfuhr von genetisch ver�ndertem Dosenmais der Firma Syngenta genehmigte. Unternehmen, die genetisch ver�ndertes Saatgut produzieren, werden als erste von diesem Bruch profitieren, und haben ihre Genehmigungsantr�ge bereits vorbereitet. Die EU zeigt sich deshalb einerseits k�mpferisch, macht aber gleichzeitig R�ckzie-her. Ihr Z�gern, die Konsequenzen aus ihrer eigenen Eingabe zu ziehen, sollte die Gewerkschaftsbewegung und ihre Verb�ndeten jedoch nicht davon abhalten, dies an ihrer Stelle zu tun. Indem sie die Legitimit�t der WTO in Frage stellten, bei Konflikten �ber grundlegende Rechte zu entscheiden, haben die EG ein Signal f�r Aktionen gegeben, die �ber ihr beschr�nktes Ziel der Abwehrung von WTO-Sanktionen hinausgehen. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen, um ein sowohl nach seiner Bezeichnung als auch nach seiner Bedeutung echtes GVO-Moratorium zu fordern.


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*Die Argumentation wird in dem IUL-Dokument vom April 2004 Der Weg zu einem an Rechten orientierten Multilateralismus f�r das Weltern�hrungssystem erl�utert, das auf unserer Website unter http://www.iuf.org.uk/images/documents/rightsbasedmultilateralism-d.pdf abgerufen werden kann.