IUF logo; clicking here returns you to the home page.
IUL
Vereinigt Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen weltweit



"Abschied von Seattle?" Die Gewerkschaften und der "Krieg gegen den Terrorismus"

An die IUL Web-Site geschickt am 01-Dec-2001

Diesen Artikel an eine/n Bekannte/n weiterleiten.

Die Kritiker des globalen Handels- und Investmentsystems sind im "Krieg gegen den Terroismus" gef�hrdet. Der Staub �ber den Tr�mmern des World Trade Center in Manhattan hatte sich noch nicht gelegt, als eifrige Bef�rworter des "Freihandels" bereits damit begannen, neue Kampflinien auszubauen. In einem Artikel in der International Herald Tribune vom 13. September ("Die Neue Welt-ordnung ist ein Kampf der Kulturen") erkl�rte der Redakteur John Vinocur, da� "der Erweis erbracht worden ist", da� "eine Verteufelung" der WTO heute "m�g-licherweise einem Mordanschlag gleichzusetzen ist". In einem Artikel vom 24. September mit der optimistischen �berschrift "Adieu Seattle?" frohlockte The Wall Street Journal dar�ber, da� Demonstrationen gegen die WTO "nur noch in der Unterwelt erfolgen, in die wir alles verbannt haben, was fr�her wichtig zu sein schien", und z�gerte nicht, den Gegnern der globalen Deregulierung den Anstrich von Terroristen zu geben.


Am gleichen Tag forderte der US-Handelsbotschafter Robert Zoellick eine wirt-schaftliche "Gegenoffensive", um "die F�hrung Amerikas auszubauen" und die Milit�raktionen zu erg�nzen. Punkt eins auf der politischen Tagesordnung? "Die F�rderung unserer Werte durch die Erm�chtigung des Pr�sidenten, den US-amerikanischen Handel zu f�rdern", der sogenannte "direkte Weg", der es dem Pr�sidenten erm�glichen w�rde, weitreichende Vertr�ge wie das Abkommen �ber die Amerikanische Freihandelszone zu schlie�en, ohne den Entwurf den gew�hl-ten Vertretern zur eingehenden Diskussion und �berpr�fung zu unterbreiten (sie-he den Artikel "Freihandelszone Amerika: Eine neue Offensive der Konzerne" in IUL-Nachrichten Nr. 1-2/2001).


In einem Referat, das er am 24. September vor dem Institut f�r internationale Wirtschaftswissenschaften in Washington DC hielt, forderte Zoellick "eine ernst-hafte Besch�ftigung mit der wirtschaftlichen und politischen Geschichte", wobei er seinen Zuh�rern erkl�rte, da� unter anderem auch ein Zusammenhang zwi-schen den "lautstarken (sic!) Diskussionen in der Sozialistischen Internationale" und nationalistischem Terrorismus sowie der Ermordung des �sterreichischen Erzherzogs, die den Ersten Weltkrieg ausl�ste, bestehe.


Als Beispiele f�r das "Mitgef�hl und die Fairne�", die die Handelspolitik der USA pr�gten, nannte Zoellick die von den USA gezeigte "Flexibilit�t" in ihren Vor-schriften in bezug auf geistiges Eigentum, womit ein umfassendes Vorgehen gegen die AIDS-Seuche gef�rdert werden soll, sowie das Gesetz �ber Wachstum und M�glichkeiten in Afrika (AGOA) (das als "unglaubliche M�glichkeit, afrikani-sche Nationen in das Handelssystem einzubeziehen", beschrieben wird). Diese emp�renden Behauptungen entbehren in der realen Welt ebenso jeglicher Grund-lage wie die verleumderischen Angriffe von Zoellick gegen die Geschichte der Ge-werkschaftsbewegung. Die transnationalen Pharmakonzerne traten ihren begrenz-ten und taktischen R�ckzug bei den Preisen und der Produktion von Hilfsmitteln gegen HIV/AIDS nur deshalb an, weil sie auf eine weltweite Protestkampagne reagieren mu�ten, die mit aktiver Beteiligung der Gewerkschaftsbewegung durch-gef�hrt wurde. Und das von Zoellick erw�hnte AGOA bietet afrikanischen Beklei-dungsherstellern den zollfreien Zugang zum US-amerikanischen Markt nur unter der strikten Voraussetzung, da� sie US-amerikanisches Garn und Tuch verarbei-ten.
Zoellicks �berfl�chliche Behandlung komplexer historischer Vorg�nge und seine phantasiereiche Darstellung der US-amerikanischen Handelspolitik enthalten eine nur schlecht verh�llte Drohung gegen jede demokratische Diskussion: Ihr seid entweder f�r den "direkten Weg", den "freien Handel" und eine neue Runde der WTO-Verhandlungen oder ihr seid unpatriotisch. Unterst�tzt die Pl�ne der Unter-nehmen oder akzeptiert den Terrorismus. Es gibt keine andere Wahl.


Diese zynische ideologische Manipulierung ist zu Recht - und angesichts der der-zeitigen Gegebenheiten au�erordentlich mutig - von John Sweeney, dem Pr�si-denten der amerikanischen AFL-CIO, kritisiert worden, der Zoellicks Argumente als "l�cherlich und beleidigend" bezeichnete, "weil sie zum dem Schlu� f�hren sollen, da� alle, die diesen �berwiegend parteilichen Vorschlag des direkten We-ges nicht unterst�tzen, in irgendeiner Weise protektionistisch oder isolationistisch denken oder, schlimmer noch, nicht bereit sind, den Terrorismus zu bek�mpfen. Wir sind unbedingt daf�r, die amerikanische Wirtschaft anzukurbeln und auf die Trag�dien vom 11. September zu reagieren, aber der direkte Weg tr�gt in keiner Weise dazu bei, diese Ziele zu erreichen". Ein Vergleich mit den intellektuellen Gehirnw�schen des Kalten Krieges, bei denen immer und immer wieder jede T�-tigkeit danach beurteilt wurde, ob sie den Interessen des einen oder des anderen der beiden "Lager" diente, ist keineswegs an den Haaren herbeigezogen, hat doch die Bush-Regierung selbst eine Parallele zwischen dem kommenden Zeit-raum und den Jahrzehnten des Kalten Krieges gezogen.
Angesichts dieser Situation mu� die Gewerkschaftsbewegung mobilmachen, um die M�glichkeiten f�r demokratische Diskussionen und Ablehnung zu verteidigen und ihre Gedanken- und Aktionsfreiheit zu wahren. Die Notwendigkeit eines ko-ordinierten internationalen Vorgehens gegen terroristische Netze liegt auf der Hand. Gerade die gewaltige Bedrohung der Demokratie und der Menschenrechte durch solche Gruppen zwingt uns zu der Forderung, da� elementare Fragen in bezug auf die Ziele, Methoden und langfristigen Absichten der Kampagne gegen den Terrorismus gestellt werden. Notwendig sind eine breiteste �ffentliche Dis-kussion und Mitwirkung, nicht aber die Art von Abrechnung, die Zoellick, die Konzerne und die ihnen verbundenen Medien anstreben.


Ernsthafte Strategien f�r Frieden und Sicherheit erfordern langfristiges, strategi-sches Denken - und geeignete Ressourcen zu ihrer Umsetzung. Nat�rlich bed�r-fen die Menschen in Pakistan einer Erleichterung ihrer dr�ckenden Schuldenlast, die ihnen korrupte Herrscher Jahrzehnte lang aufgeb�rdet haben. Das Gleiche gilt f�r Hunderte von Millionen Menschen in aller Welt. Die Forderung nach einer drastischen Senkung der Schulden der Entwicklungsl�nder - die seit langem Be-standteil der Forderungen der internationalen Gewerkschaftsbewegung nach einer grundlegenden Neuausrichtung internationaler Priorit�ten ist - kann nicht von ver-�nderten diplomatischen Erfordernissen �berlagert werden, sondern sie mu� viel-mehr im Zentrum unseres Programms f�r einen internationalen Umbau stehen. Und sie mu� mit den aktuellen Kampagnen zur internationalen St�rkung der De-mokratie und zur Beschr�nkung der Macht der Unternehmen gekoppelt werden.


Angesichts der Milzbrandbedrohung ist die amerikanische Regierung jetzt krampf-haft bem�ht, genau die internationalen Patentgesetze au�er Kraft zu setzen, f�r die sie fr�her gek�mpft hat. Der Preis patentierter Antibiotika macht ihren umfas-senden Einsatz prohibitiv teuer. Diese Situation ist den Millionen Opfern der AIDS-Seuche, die den ganzen Globus heimsucht, nur allzu vertraut. Es k�nnte kein zwingenderes Argument daf�r geben, den Bed�rfnissen der Menschen Vorrang gegen�ber den "Urheberrechten" der transnationalen Konzerne zu geben.
Nach der Ausrufung eines �ffentlichen Gesundheitsnotstands - der in erster Linie Mitarbeiter der Post, der Regierungsbeh�rden und der Medien trifft - m�ssen die US-amerikanischen Beh�rden nunmehr feststellen, da� ihr �ffentliches Gesund-heitssystem nur eine hohle Schale ist. Dennoch wird es als weltweit g�ltiges Mo-dell propagiert. Die Amerikanische Freihandelszone und das Allgemeine Abkom-men der WTO �ber den Handel mit Dienstleistungen w�rden alle �ffentlichen Dienste, auch die Gesundheitsversorgung, den meistbietenden Konzernen �ber-lassen.


Die Bush-Regierung, die erst vor kurzem die Verhandlungen �ber ein internatio-nales Protokoll zur Beseitigung biologischer Waffen mit der fadenscheinigen Begr�ndung torpediert hat, ein solches Protokoll schade den "Interessen" der amerikanischen Industrie, hat sich jetzt f�r internationale Kontrollma�nahmen ausgesprochen. M�ssen wir darauf warten, da� eine Kernwaffe gez�ndet wird, ehe wir die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen fordern d�rfen? M�ssen wir auf einen anderen massiven terroristischen Angriff warten, um die unverz�g-liche Ratifizierung des Vertrags �ber die Gr�ndung eines internationalen Strafge-richtshofs zu fordern, der f�r Verbrechen gegen die Menschheit dieser Gr��en-ordnung zust�ndig ist?


Wer immer die massive Gewalt von Gruppen wie Al Quaida verstehen will, braucht sich nur die Terrorkommandos in Ruanda anzusehen, die systematisch alle Brillentr�ger ermordeten, weil diese vermutlich lesen und somit auch denken konnten, oder aber die serbischen Faschisten, die methodisch die Bibliotheken und die urbane Kultur in Bosnien zerst�rten und dabei genauso fr�hlich vorgingen wie bei der Ermordung ihrer muslimischen Opfer. M�ssen wir auf weitere Ruanda und Bosnien warten, ehe wir ernsthaft daran gehen, die Vereinten Nationen mit den rechtlichen, finanziellen und milit�rischen F�higkeiten auszustatten, die ihnen glaubhafte Ma�nahmen erm�glichen w�rden? Mu� das gequ�lte Volk von Afghanistan noch ein Jahrzehnt des Kriegs, der Unterdr�ckung und der Vertrei-bung erdulden, ehe sich die Erkenntnis durchsetzt, da� seine Not - und die Not der wachsenden internationalen Armee hungernder Fl�chtlinge - internationale Unterst�tzung rechtfertigt?


Die Gewerkschaftsbewegung ist in jeder Weise berechtigt - und in der Tat auch verpflichtet, die augenblickliche Milit�rkampagne einer kritischen �berpr�fung zu unterziehen, darauf zu bestehen, da� die milit�rischen Ziele beschr�nkt und ge-nau definiert werden, und eine aktive Mitwirkung an den seit langem �berf�lligen Bem�hungen um eine Bek�mpfung bestehender Konfliktursachen in der Welt zu fordern. Wirkliche Sicherheit wird es nur durch demokratische Entwicklung, die Beseitigung der Armut und die universale Verteidigung der Menschenrechte und der Menschenw�rde geben, die die Grundlagen der internationalen Gewerk-schaftsbewegung bilden.


Vor allem aber m�ssen wir unser Recht, selbst�ndig zu denken und zu handeln, und unseren Einsatz f�r die globale Solidarit�t verteidigen. Eine als "Freihandel" verkleidete globale Deregulierung ist nur ein Rezept f�r globales Elend und glo-bales Chaos. Und aus diesem sehr guten Grund haben wir keinesfalls die Absicht, uns von Seattle zu verabschieden.