IUF logo; clicking here returns you to the home page.
IUL
Vereinigt Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen weltweit


Nestlé wegen Verletzung von OECD-Richtlinien im Vereinigten Königreich angeklagt

An die IUL Web-Site geschickt am 09-Oct-2006

Diesen Artikel an eine/n Bekannte/n weiterleiten.



Nestlé sitzt bei der OECD erneut auf der Anklagebank, weil es von der IUL im Namen ihrer Mitgliedsverbände im Vereinigten Königreich beschuldigt wird, im Zusammenhang mit den jüngsten Arbeitsplatzbeseitigungen im Vereinigten Königreich in flagranter Weise gegen die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen verstoßen zu haben.

Die OECD-Richtlinien, deren Bestimmungen und Anwendungsverfahren von den Regierungen aller OECD-Länder und anderen ihnen beigetretenen Regierungen übernommen wurden, legen eindeutige Normen für die Verhältnisse zwischen ausländischen Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen und dem sozialen, politischen und Menschenrechtsumfeld, in dem sie tätig sind, fest. Die Richtlinien verbieten es Unternehmen insbesondere, mit Produktionsverlagerungen in das Ausland zu drohen, um dadurch das Ergebnis von Kollektivverhandlungen zu beeinflussen. Nestlé scheint dies jedoch noch nicht begriffen zu haben - obwohl sich das Unternehmen gerade in dieser Frage vor drei Jahren in Korea die Finger verbrannt hat.

In dem koreanischen Konflikt im Jahr 2003 hatte Nestlé bei dem Versuch, einseitig einen Umstrukturierungsplan durchzusetzen, Arbeitnehmer in Fertigungs-, Lager- und Auslieferungszentren im ganzen Land ausgesperrt. Als die Gewerkschaft nicht nachgab, versuchte Nestlé, die Arbeitnehmer - und die Regierung Koreas - zu erpressen, indem es öffentlich mit einer Verlagerung der Produktion nach China drohte.

Aufgrund der von der IUL in Korea und in der Schweiz, wo sich der Sitz des Nestlé-Konzerns befindet, eingeleiteten OECD-Verfahren, sah sich die Unternehmensleitung schließlich gezwungen, die Verhandlungen aufzunehmen, die sie zunächst abgelehnt hatte.

Nun versuchen sie es wieder, dieses Mal im Vereinigten Königreich, wo eine lange Reihe von Managementfehlern und die systematische Unterlassung von Investitionen in die Produktionskapazitäten zwar den Investoren hübsche Gewinne brachten, aber gleichzeitig zum Verlust von Marktanteilen im Süßwarenbereich führten.

Nestlés Nettogewinne stiegen im ersten Halbjahr 2006 um 11,4%, womit sie die Erwartungen der Analysten übertrafen und den Aktienkurs, der aufgrund vorheriger Aktienrückkäufe bereits kräftig gestiegen war, noch stärker in die Höhe trieben. Konzernchef Peter Brabeck rühmte die "hervorragenden Wachstumsraten und Gewinnspannen".

Anfang Juli teilte das Nestlé-Management Gewerkschaftsvertretern in den Rowntree-Süßwarenbetrieben des Unternehmens im Vereinigten Königreich mit, man beabsichtige, die Löhne und Zulagen für alle Rowntree-Arbeitnehmer um 15% zu senken. Den Gewerkschaftsvertretern wurde erklärt, dass die Zukunft der Schokoladeherstellung im Vereinigten Königreich gefährdet wäre, wenn sie ihre Zustimmung verweigerten. Die Gewerkschaften erklärten sich daraufhin bereit, mit der Unternehmensleitung gemeinsam zu prüfen, welche Kostensenkungen möglich seien.

Am 21. August verkündete die Unternehmensleitung des Rowntree-Betriebs in York, sie werde im Rahmen der vorgesehenen Umstrukturierung Arbeitsplätze beseitigen. Den Gewerkschaftsvertretern wurde ferner mitgeteilt, dass einige Produktionsbereiche ganz oder teilweise in Nestlé-Betriebe in Kontinentaleuropa verlagert würden. Am 20. September nannte sie konkrete Zahlen. In York sollten 645 Arbeitsplätze entfallen. Bereits Anfang dieses Jahres waren in diesem Betrieb 264 Entlassungen vorgenommen worden.

Gleichzeitig teilte das Nestlé-Management den Arbeitnehmern und Gewerkschaftsvertretern mit, dass die bestehende Tarifvereinbarung über die Beschäftigungsbedingungen einseitig aufgehoben werde. Den Gewerkschaften wurden 90 Tage für "Verhandlungen" eingeräumt - mit der Maßgabe, dass Nestlé in jedem Fall die angestrebten Lohn- und Zulagenkürzungen zugestanden werden müssten. Vor dem Hintergrund vorgesehener Produktionsverlagerungen und der Drohung weiterer Verlagerungen muss man die schriftliche Mitteilung von Nestlé an die Arbeitnehmer vom 20. September lesen, worin es heißt: Sollte keine Vereinbarung erzielt werden, werden neue Beschäftigungsbedingungen gelten, die im Zuge von Kündigungen und Wiedereinstellungen festgelegt werden.

Indem das Unternehmen Gewerkschaftsvertreter in allen Rowntree-Betrieben im Vereinigten Königreich über seine Absicht unterrichtet hat, die Löhne und Zulagen innerhalb des ganzen britischen Rowntree-Systems zu kürzen, hat es darüber hinaus die Androhung von Produktionsverlagerungen eingesetzt, um etwaige Verhandlungen in den anderen drei Rowntree-Betrieben des Landes zu erschweren.

Mit der Drohung aktueller und möglicher künftiger Produktionsverlagerungen in das Ausland, um dadurch das Ergebnis der Verhandlungen zu beeinflussen, hat Nestlé eindeutig gegen Absatz IV.7 der OECD-Richtlinien verstoßen, worin es heißt, Unternehmen sollten:

Im Zusammenhang mit Verhandlungen in Treu und Glauben mit Vertretern der Arbeitnehmer über Beschäftigungsbedingungen oder wenn Arbeitnehmer ihr Vereinigungsrecht ausüben, nicht damit drohen, eine Betriebseinheit aus dem betroffenen Land ganz oder teilweise zu verlagern ... um dadurch diese Verhandlungen in unfairer Weise zu beeinflussen.

Konzernchef Brabeck hat gegenüber Investoren ein "Nestlé-Modell" propagiert, das den "Shareholder Value" durch doppelstellige Gewinne, höhere Dividenden und regelmäßige Aktienrückkäufe steigert. Die Frauen und Männer in aller Welt, die in diesem Konzern arbeiten, haben die Kehrseite dieses Modells kennengelernt, nämlich die Steigerung des Shareholder Value durch die Vernichtung von Arbeitsplätzen, wobei laufende Umstrukturierungen und die ständige Androhung von Produktionsverlagerungen die permanenten Begleiterscheinungen einer Tätigkeit für Nestlé sind.

Mit ihrer Eingabe an die OECD-Vertreter im Vereinigten Königreich und in der Schweiz, worin die Verletzung der Richtlinien für multinationale Unternehmen durch Nestlé dokumentiert wird, versucht die IUL, Druck auf Nestlé auszuüben, damit der Konzern international anerkannte Regeln einhält. Die britischen Mitgliedsverbände der IUL im Rowntree-Betrieb York - Amicus und GMB - streben echte Verhandlungen an, nicht aber Ultimaten des Konzerns mit der öffentlichen Androhung von Produktionsverlagerungen in das Ausland.